Daniel Fuhrhop war auf Einladung der Nürtinger SPD, der BUND Ortsgruppe Nürtingen, des Kreisverbandes des BUND und des Forums zukunftsfähiges Nürtingen in Nürtingen, um über die wahren Ursachen der Wohnraumnot und die bedrohlichen Folgen einer nicht zukunftsfähigen Entwicklung zu sprechen.
Heute verfügen wir mit 46,5 Quadratmetern Wohnfläche pro Person über sieben Quadratmeter mehr als noch im Jahr 2000. Doch obwohl immer mehr gebaut wurde und die Wohnfläche in Deutschland über Jahrzehnte fast kontinuierlich schneller gewachsen ist, als die Bevölkerung, fehlen in vielen Städten bezahlbare Wohnungen, während die Mietkosten in die Höhe schießen. Wohnungsbau wird daher oft als die soziale Frage unserer Zeit bezeichnet und der Koalitionsvertrag von Union und SPD sieht bis Ende 2021 das Ziel von 1,5 Millionen neuen Wohnungen vor, was circa 375.000 Neubauwohnungen pro Jahr entspricht.
Gleichzeitig stehen in ganz Deutschland fast anderthalb Millionen Wohnungen leer. Allein in Leipzig sind es 19.000 Wohnungen, in Essen ähnlich viele. Doch nicht nur der Osten und das Ruhrgebiet sind betroffen. Auch in Baden-Württemberg gibt im Vergleich zur Zahl der Haushalte einen Überschuss von 270.000 Wohnungen (Stand 2016). Ohne Zuzug aus dem Ausland könnte sich in Deutschland bis zum Jahr 2030 ein Überschuss von mehr als 3,3 Millionen Wohnungen aufbauen.
Die Folgen dieser Entwicklung sind ein anhaltend hoher Flächenverbrauch und rapide steigende Kosten für Boden ebenso wie für den Bau, die Instandhaltung und die Miete von Gebäuden. Diese fast schon absurde Entwicklung überfordert nicht nur junge Familien und Geringverdiener, sondern gefährdet auch den sozialen Frieden: in Deutschland durch den Gegensatz von Boomstädten und schrumpfenden Orten, im Ausland durch Land Grabbing.
Der BUND wies darauf hin, dass in Nürtingen schon heute nur noch ca. ein Drittel der Bewohner von der eigenen Landwirtschaft ernährt werden kann. Weiterer Flächenverbrauch erhöhe deshalb einerseits die Importabhängigkeit Nürtingens und verschärfe zugleich den Wettlauf um wertvolle Ackerböden im Ausland. Dies sei allerdings kein Problem das Nürtingen alleine habe, sondern ganz Deutschland betreffe. Schon heute benötigen die Deutschen mehr als 5,5 Millionen Hektar im Ausland, um sich ernähren zu können.
Daniel Fuhrhop, der sich seit vielen Jahren mit dem Phänomen der Wohnungsnot beschäftigt hat, kritisierte deshalb, dass trotzdem ständig neue Baugebiete ausgewiesen werden, die zudem zur Versiegelung der Landschaft, zu mehr Feinstaub und mehr Energieverbrauch führten, was wiederum das Klima anheize und damit in vielen Ländern weitere Fluchtursachen schaffe.
Fuhrhop zeigte deshalb auf, wie auch ohne Neubaugebiete günstiger Wohnraum geschaffen werden könnte. In seinem Buch „Verbietet das Bauen!“ hat er 50 Werkzeuge gesammelt, die dabei helfen können, die vorhandene Siedlungsfläche und den bereits existierenden Wohnraum besser zu nutzen. Dabei gehe es vor allem darum, den Leerstand wieder zu nutzbar zu machen und den Wohnraum besser aufzuteilen. Als Beispiel berichtete Fuhrhop aus Konstanz, wo das sogenannte „Raumteiler-Programm“ dazu geführt habe, dass 115 Privatunterkünfte gefunden und belegt werden konnten.
Eine andere Möglichkeit sei die Förderung und Entwicklung der Städte, die bisher Einwohner verloren haben. Drei Modellstädte locken unter dem Motto „Mach Mutti glücklich – komm zurück!“ Existenzgründer, Künstler, und Rückkehrer sich wieder dort niederzulassen, wo es bereits günstigen Wohnraum gibt. Erste erfolgreiche „Rückhol-Aktionen“ gebe es inzwischen. In Görlitz seien die Kommunalpolitiker zudem auf die Idee gekommen, potenziellen Neubürgern ein vierwöchiges „Probewohnen“ anzubieten, um die Stadt besser kennenzulernen. Wohnungstauschbörsen und finanzielle Unterstützung bei Umzügen könne ebenfalls helfen, für viele Bürger Wohnungen zu finden, die besser zu ihren Bedürfnissen passen. Fuhrhop zeigte in seinem Vortrag wie auch in seinen Büchern, dass die Möglichkeiten, bezahlbaren Wohnraum ohne Neubau zu schaffen, sehr zahlreich sind. Man braucht nur etwas Kreativität und den Mut, sich auf neue Ideen einzulassen – dies machte der Abend mehr als deutlich.
Text: Sven Simon